Geben wir der Zukunft Hoffnung! – Forum Langenlois II

Eine Gruppe von Menschen steht in herbstlicher Landschaft, alle in Mänteln und mit Hauben

Vom Klimawandel über die globale Migration bis zur Erosion liberaler Demokratien und Institutionen im Westen: Viele Wegweiser zeigen in eine erschreckende Richtung. Doch die Zukunft ist nicht festgeschrieben. Für den Versuch, sie zu gestalten, braucht es beides – sowohl den nüchternen und zweifelnden Blick als auch die Leidenschaft und den Glauben, etwas bewirken zu können.

Aus Sicht des Biopioniers und Nachhaltigkeitsexperten Werner Lampert sind wir klar an einem Wendepunkt angelangt. Niemand könne heute die Folgen einer Erderwärmung von 3 bis 4 Grad abschätzen. Dazu komme, dass wir völlig neuen Lebensformen entgegengehen: „Wir werden künftig ganz andere politische Verhältnisse, soziale Bedingungen und Produktionsformen haben.“ Was unsere Gesellschaft brauche, um zukunftsfähig zu bleiben, sei Resilienz – die Fähigkeit, mit widrigen Umständen und Situationen umzugehen. Doch welche Rahmenbedingungen sind dafür erforderlich? Und welche konkreten Initiativen führen zum Ziel? Darüber diskutierten elf Vordenker aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften mit dem Gastgeber Werner Lampert beim zweiten Nachhaltigkeitsforum Langenlois.

Teilnehmerliste


Mann mittleren Alters mit braungrauem Haar und runder HornbrilleWas uns fehlt, ist ein Hoffnungsnarrativ

„Um der Unsicherheit der Zukunft entgegenzuwirken, brauchen wir ein Hoffnungsnarrativ. Dieses muss auf einer soliden Grundlage stehen – und die kann nur erreicht werden, wenn ganz einschneidende wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen passieren.“

Philipp Blom, Schriftsteller und Historiker, Wien/Österreich


Portrait eines jungen blonden Mannes mit strahlendem Lächeln und HornbrilleEine große Erzählung vereint Umwelt- und soziale Bewegungen

„Eine neue, große Erzählung schafft einen Rahmen und eine Perspektive, die globale Netzwerke mit lokalen Graswurzelaktivisten zusammenbringen. Damit lassen sich über 100 Jahre alte Bewegungen wie der Feminismus mit jungen Widerständen wie dem zivilen Ungehorsam gegen Kohle verbinden.“

Daniel Boese, Mediensprecher Avaaz.org, Hamburg/Deutschland


Portrait eines älteren Mannes mit etwas schütterem grauen Haar in dunkelorangem PulloverEs mangelt an einer langfristigen Sichtweise

„Man bekommt einen ganz anderen ökonomischen Zugang, wenn man langfristig denkt, als wenn man kurzfristig denkt. Das natürliche Kapital – wie zum Beispiel die Bodenfruchtbarkeit – folgt ganz anderen Gesetzen.“

Willi Bründlmayer, Winzer, Langenlois/Österreich


Mann mittleren Alters mit leichter Glatze, rahmenloser Brille und Bart in AnzugDer Wir-Sinn schafft Lebenskraft

„Resilient ist der, der die Zuversicht in sich trägt, dass Probleme Lösungen enthalten. Er meistert Krisen unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen. Er nutzt diese als Anlass für Entwicklung. Resilienz lässt sich nicht auf individuelle Eigenschaften reduzieren.“

Henning Elsner, Mediziner und Psychosomatiker, Lahnstein/Deutschland


Portrait eines lächelnden Mannes mit leicht grau meliertem Haar, Hornbrille und 3 TagesbartWir müssen die Global Governance stärken

„Das Hauptproblem, mit dem wir uns beschäftigen – Klimawandel und Nachhaltigkeit – ist ein globales Problem. Das lässt sich im Rahmen von Nationalstaaten gar nicht angehen. Dafür brauchen wir auch neue Institutionen für Global Governance.“

Carlos Fraenkel, Philosoph, Montreal/Kanada


Ernsthaft blickender junger Mann mit schwarzem Haar, dunkelbraunen Augen und getrimmtem BartUnser Zahlungsmittel ist die Wertschätzung

„Die allermeisten Projekte scheitern an zwischenmenschlichen Herausforderungen. Friedensarbeit beginnt bei mir selbst, in meinem Schlafzimmer, in meiner Familie, in meinem Garten, in meinem Quartier. In diesem Sinne: Feel global, act local for universal peace!“

Bastiaan Frich, Aktivist Urban Agriculture Netz Basel, Basel/Schweiz


Portrait einer freundlich lachenden blonden Frau mit weißem Pullover und auffalender BroscheDemokratie 2.0 ist migrantisch, global, regional

„Die Vermittlung zwischen einer nationalstaatlich organisierten politischen Repräsentation und einer zunehmend heterogenen, post-nationalen Gesellschaft ist in eine Krise geraten. Die Probleme, denen sich gegenwärtige Politik stellen muss, scheinen nicht mehr auf der Ebene von Nationalstaaten lösbar.“

Eva Horn, Literaturwissenschafterin, Wien/Österreich


Ernsthaft schauende Frau mit Brille und roten HaarenFaire Bedingungen sind ein Schlüssel für Kooperationen

„Für mich ist es eine Chance, in Kooperationsmodellen und Dynamiken zu denken. Leute kooperieren dann, wenn sie das System als fair erleben. Sie kooperieren, wenn das Ziel sinnvoll und kohärent mit ihren eigenen Zielen ist.“

Angela Kallhoff, Ethikerin, Wien/Österreich


Portrait eines bärtigen Mannes mit lockigem ergrauten Haar und HornbrilleResilienz entsteht nur aus Stabilität heraus

„Wir müssen davon ausgehen, dass in 30, 40, 50 Jahren die globale Versorgung mit Lebensmitteln nicht mehr funktioniert. Deshalb ist es in unserer täglichen Arbeit das Allerwichtigste, Resilienz zu schaffen. Das bringt Stabilität in die Region und schafft die Grundlage für Ernährungssouveränität.“

Werner Lampert, Biopionier und Nachhaltigkeitsexperte, Wien/Österreich


Lächelnde ältere Frau mit kurzem schwarzen Haar im FreienDemokratien brauchen Institutionen für nachhaltigen Wandel

„Demokratischen Gesellschaften fehlen Institutionen, die einen Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit gestalten und steuern könnten – im Sinne des evolutionären Konzepts der reflexiven und adaptiven Governance.“

Claudia Pahl-Wostl, Professorin für Ressourcenmanagement, Osnabrück/Deutschland


Portait einer skeptisch blickenden dunkelhaarigen Frau mit braunen AugenKunst ist dem Nachhaltigkeitsgedanken dienlich

„Ich gehe davon aus, dass Kunst etwas ist, dass dem Nachhaltigkeitsgedanken dienlich ist. Wenn ich jetzt sage, unsere Mentalität muss sich ändern, unser Handlungsmuster muss sich ändern, unsere politischen Entscheidungen müssen sich ändern, dann ist Kunst etwas, das dafür gut ist.“

Kathrin Röggla, Schriftstellerin, Berlin/Deutschland

Stark lächelnder älterer Mann mit BrilleEine neue Moderne erfordert Zukunftsbilder

„Einer neuen sozialen Bewegung fehlen zwei Elemente: Wir brauchen einen gesellschaftspolitischen Rahmen, der sich auf die individuellen und institutionellen Handlungsbedingungen und zivilisatorischen Standards moderner Gesellschaften und deren Bewahrung bezieht. Und ein Zukunftsbild, das eine neue Moderne anders auftreten lässt als mit den Charakteristika des Verzichts.“

Harald Welzer, Soziologe und Sozialpsychologe, Berlin/Deutschland


Starke Bewegungen brauchen ein Zukunftsbild

Angesichts der erdrückenden Fakten zum Klimawandel und des Gefühls der Verzweiflung sind viele Menschen in eine Starre geraten. Um diese zu lösen, fehlt aus Sicht des Soziologen Harald Welzer und der Schriftstellerin Kathrin Röggla vor allem eines: ein Zukunftsbild. Die „Geschichten des Gelingens“ der FUTURZWEI Stiftung von Harald Welzer zeichnen dieses hervorragend. Hier werden Menschen und Projekte vorgestellt, die sich schon jetzt aktiv für eine nachhaltigere Welt einsetzen – vom Recyclingshop über die ökologische Kinder-Kleiderbörse bis zum Begegnungscafé.

Kooperationen als Boost für Resilienz

Doch wie schaffen wir den Schritt von Projekten hin zu einem Engagement auf breiter Ebene, wie schaffen wir noch mehr Menschen zu mobilisieren? Die Antwort der Ethikerin Angela Kallhoff ist: eine Anbindung von Klima- und Nachhaltigkeitsthemen an die Bedürfnisse der Leute. „Wir kooperieren dann, wenn wir ein System als fair erleben. Wir kooperieren, wenn das Ziel sinnvoll und kohärent mit unseren eigenen Zielen ist“, erklärt Kallhoff. Nur so sei der Schwenk weg von einem freiwilligen Verzicht in der Konsumgesellschaft hin zu einem neuen, nachhaltigeren Selbstverständnis eines „guten Lebens“ möglich.

Ein konkreter Ansatz dabei sei das Modell der „Joint Action“. Dabei engagieren sich unterschiedliche Menschen und Gruppen für ein gemeinsames Ziel, etwa in Bezug auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen, wodurch Kooperationsformen gestärkt werden.

Mehrere Menschen sitzen in Saal mit grünen Sesselnund verzierter Decke
Wie können wir die Mauer des Desinteresses für Nachhaltigkeitsthemen durchbrechen? Diese Frage wurde intensiv diskutiert.

Einen solchen Zugang setzt das Urban Agriculture Netz Basel bereits seit 2010 erfolgreich in die Tat um: Unter dem Dach der lokalen, integralen Graswurzelbewegung finden sich rund 60 nachhaltige Projekte.

Ernsthaft blickender junger Mann mit schwarzem Haar, dunkelbraunen Augen und getrimmtem Bart„Wir sehen uns als Nährboden, der verschiedenste Nachhaltigkeitsprojekte zum Wachsen bringt“, erklärt deren Mitgründer Bastiaan Frich.

Daniel Boese liefert mit der internationalen Bürgerbewegung Avaaz ein weiteres erfolgreiches Beispiel. Avaaz vernetzt Gestaltungswillige auf der ganzen Welt und will die Nachhaltigkeitsbewegung „rausholen aus dem Ghetto von Wissenschaft und Politik – und direkt hineinbringen in Auseinandersetzungen.“ Hier sei viel Kreativität gefordert, um sich immer wieder neue Aktionen und Formen auszudenken. Denn nur so ließen sich die Menschen erreichen und mobilisieren – wie damals für die größte weltweite Klima-Demo: Ende September 2014 gingen Hunderttausende in New York und an über 2.000 weiteren Orten auf die Straße. Die Fortsetzung kennen wir und 2015 vor der UN-Klimakonferenz von Paris war das Signal an die Politiker in aller Welt klar: Wir sind bereit. Jetzt seid ihr an der Reihe!

Mehrere Personen gehen dick eingepackt in Mäntel durch einen herbstlichen Weingarten
Die Teilnehmer am zweiten Nachhaltigkeitsforum Langenlois mit Winzer Willi Bründlmayer in dessen Weingarten am Käferberg auf den Anhöhen von Langenlois.

Miteinander öffentliche Güter pflegen

„Es muss ein Gefühl geben, dass man Teil eines gemeinsamen Projektes ist“, davon ist auch Welzer überzeugt. Für den Arzt und Psychosomatiker Henning Elsner ist der dabei entstehende „Wir-Sinn“ besonders wichtig: „Wir müssen uns fragen, was sind resilienzfördernde Faktoren und was stärkt unsere Kohärenz.“

Bei den Menschen muss wieder eine Beziehung zur Natur entstehen und dadurch das Bedürfnis eines gewissenhaften Umgangs mit Ressourcen. Ein wichtiger Schlüssel dafür sind Räume, in denen sich ein attraktives Lebensmodell erfahren lässt. Räume, die Menschen gemeinsam nutzen und an denen Teilhabe stattfindet – wie zum Beispiel in Gemeinschaftsgärten.

Portrait eines gen Himmel blickenden bärtigen Mannes mit lockigem ergrauten Haar und Hornbrille, im Hintergrund Busch mit gelben BlätternDas Verständnis für Grund und Boden ist unumgänglich, appelliert Werner Lampert, denn: „Auf dieser Erde gibt es kein Leben ohne gesunden, fruchtbaren Boden. Wasser und Biodiversität sind die Rückversicherung für unsere Zukunft“.

Große Skulptur aus braunen Bällen zusammengesetzt neben einem herbstlichen Weingarten
Kunst im öffentlichen Raum: Die monumentale Skulptur des Künstlers Heimo Zobernig im Weingarten wird von den Langenloisern „Traube am Käferberg“ genannt.

Charakteristisch für solche Lebensmodelle sind das Teilen und die gemeinsame Nutzung. Daraus könnte in der Folge auch ein anderes Verständnis des Wirtschaftens erwachsen: Die Ethikerin Angela Kallhoff stellt in diesem Zusammenhang die sogenannten „Gift Economy“ vor. Hier teilen Menschen Güter und Dienstleistungen miteinander, ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten. „Bei solchen neuen Formen des Wirtschaftens wirft die Partizipation für alle etwas ab – auf Basis klar definierter Regeln“, betont Kallhoff.

Nachhaltiger Wandel braucht neue Zugänge und klare Ziele

Die Ökologin Claudia Pahl-Wostl verweist schließlich auf einen weiteren wesentlichen Faktor für zukunftsfähige Gesellschaften: Sie brauchen Institutionen, die den Weg zur Nachhaltigkeit gestalten und steuern können. Wichtig sei, diese mit verbindlichen Zielen zu verknüpfen.

Lächelnde ältere Frau mit kurzem schwarzen Haar im Freien„Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag, basierend auf den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen“, fordert Pahl-Wostl.

Umsetzbar wäre das mittels einer „reflexiven Governance“, wo repräsentative Foren unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen geschaffen werden. Diese würden die Fortschritte und die Einhaltung des Vertrags diskutieren und überblicken.

So unterschiedlich die Lösungsansätze und Auffassungen von Resilienz beim zweiten Nachhaltigkeitsforum in Langenlois in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auch sein mochten, in einem waren sich alle einig:

Wir brauchen neue Visionen und ein Hoffnungsnarrativ, das Lust macht, die Zukunft wieder in die eigenen Hände zu nehmen und die Welt aktiv zu gestalten!

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