Unendliche Freiheit im endlichen Rahmen?

„Der Mensch ist frei geboren. Freiheit ist leiwand (österr. für großartig).“

So brachte Hannes Androsch die, für uns wohl selbstverständlichste Errungenschaft der Moderne, unlängst in einem Interview auf den Punkt. Was aber, wenn durch die gefühlte Grenzenlosigkeit unserer Freiheit, andere, essentielle Dinge ziemlich „un-leiwand“ werden?

Als Menschheit verbrauchen wir weltweit 60% mehr, als unsere Erde jährlich an Ressourcen bereitstellen kann. Wenn wir Mitteleuropäer Lebensstil-bezogen für die gesamte Menschheit den Ton angeben würden, müssten wir uns auf 3 Erden verteilen, um genug Ressourcen zu haben. Es wird immer augenscheinlicher, dass wir langfristig nicht so über die Stränge der planetaren Grenzen schlagen können. Vor dem Hintergrund, dass uns jetzt als Rechnung Klimakrise, Artensterben & Co präsentiert werden, stellt sich langsam eine Art ‚Konsum-Kater‘ ein.
Augenmaß ist also gefragt, um im Rahmen des Möglichen zu leben. Aber (wo) bleibt der Wohlstand? Und kann sich ein Leben in diesem abgesteckten Rahmen trotzdem selbstbestimmt, lebenswert und frei anfühlen? Viele Menschen haben pandemiebedingt das Wort „Einschränkungen“ zum persönlichen Unwort des Jahres erkoren. Schwierige Zeiten, um mit Argumenten zur Endlichkeit unseres Planeten aufzuwarten. Herausforderung angenommen:

Leitplanken für die Zukunft

Gemeinsam mit seinem Kollegen Will Steffen hat der renommierte Wissenschaftler Johann Rockström diesen Rahmen ausgepflockt: mit dem Konzept der „Planetaren Belastungsgrenzen“. Es zeigt auf, in welchen Bereichen wir durch unser „Nehmen“ Grenzen bereits deutlich überschritten haben, und wo wir uns noch im Rahmen halten (s. Abb). Die aktuelle Diagnose ist wenig erbaulich: im Bereich der Biodiversität (Artensterben) und des Stickstoff- und Phosphorkreislaufs wurde die Grenze bereits massiv überschritten. Mit ungewissen Folgen.
Und trotzdem gibt der Ansatz eine sehr wertvolle Orientierung: Er macht unseren Handlungsspielraum dingfest. Zeigt, wie der Rahmen, der „safe operating space for huminity“ (sichere Handlungsrahmen für die Menschheit) aussieht. Wenn wir Gäste auf diesem Planeten bleiben wollen, wird die Freiheit der Zukunft gänzlich innerhalb dieses Rahmens Platz finden.

Abbildung zum Ist-Zustand der planetare Grenzen
Planetare Grenzen nach Steffen und Rockström (2015). Der grüne Bereich ist der sichere Handlungsraum unterhalb der Grenzen, gelb ist eine Zone der Unsicherheit, wo das Risiko für katastrophale Folgen steigt, und rot ist die Zone für hohes Risiko. Der innere dicke Kreis bildet den sicheren, der zweite dicke Kreis den unsicheren Handlungsraum ab.

Unsere aktuellen, rot aufleuchtenden Grenzüberschreitungen haben sehr viel damit zu tun, wie wir Land bewirtschaften und, damit einhergehend, was wir essen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich Rockström selbst vor den Herd schwingt und dazu aufruft, kochend die Welt zu retten. Diesen Anspruch hegt offen deklariert sein Kochbuch „Eat Good: ein Kochbuch, das die Welt verändert“.

Freiheit im Donut?

Kochen allein wird freilich nicht reichen. Es braucht auch gröbere Änderungen in politischen und wirtschaftlichen Systemen. Wäre die Ökonomin Kate Raworth in Sachen Wirtschaft „Chef de cuisine“ käme als Rezeptvorschlag von ihr: der Donut. Vor allem wegen seiner Form. Dieser Kreis mit Loch eignet sich ihrer Ansicht nach, als ideales Abbild eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems. Der Teigring wäre der Rahmen, in dem ein gutes Leben Platz findet. Bewegt sich ein Bereich in Richtung „Loch“, bedeutet das Mangel. Verlässt man den Donut nach außen hin, findet Übernutzung statt.

Abbildung zur Donut Ökonomie nach Kate Raworth
Visualisierung der Donut-Ökonomie (Raworth, K., doughnuteconomics.org, Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License)

Raworth verleiht der Ökonomie des 21. Jahrhunderts in 7 Schritten ein regeneratives, verteilungsorientiertes Design. Und knüpft an diesen Umbau der Wirtschaft die Hoffnung, das Gedeihen der Menschheit in Einklang mit der Natur zu bringen.
Die Stadt Amsterdam macht beim Corona-bedingten, wirtschaftlichen Wiederaufbau Nägel mit Köpfen in Sachen Donut: Man setzt nicht länger auf das alte, wenig krisenfeste Pferd, sondern baut Amsterdams Wirtschaft nach den Prinzipien der Donut-Ökonomie um. Wodurch z.B. dem massiven Wohnungsmangel in Amsterdam jetzt mit ökologischen Neubauten (z.B. Holzbauten) begegnet wreden soll, die den ‚Donut‘ klima- und ressourcenmäßig nicht sprengen.

Prinzipien der Doughnut Economy
Prinzipien der Donut-Ökonomie (doughnuteconomics.org, adaptiert, Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License)

Der Clue am Donut-Modell: Freiheitsliebende müssen nicht um Freiheitsverluste zittern. Alte, fragwürdige Freiheiten (z.B. Überkonsum, Lebensmittelverschwendung etc.) werden durch neue, tragfähigere Freiheiten und Modelle abgelöst und relativ schmerzfrei überflüssig gemacht.

Ausblick

Jetzt würden wir natürlich gerne einen Botschafter aus der Zukunft einladen, um nachzuhaken, wie sich diese „neue Freiheit“ denn wirklich anfühlt, so ganz im Rahmen. Stünde er vor mir, würde ich ihn nur allzu gerne fragen, ob wir ‚im Rahmen‘ besser gelernt haben Ressourcen gerechter zu (ver)teilen? Ob das gute Leben für alle (weltweit) jetzt mehr zählt als Gewinnmaximierung? Ob man mit Kindern wieder locker über die Zukunft plaudern kann und Sätze wie „Ihr könnt Euch freuen, auf das, was Euch erwartet“ wieder angebracht scheinen? Ob es nicht auch extrem befreiend ist, umfassend optimistisch in die Zukunft blicken zu können?
Vielleicht würde der Zukunfts-Botschafter an dieser Stelle geheimnisvoll schmunzeln. Vielleicht würde er mir zum Abschied einen Glückkeks zustecken und murmeln: „Versucht es mal damit“. Hastig würde ich den Keks knacken, und vermutlich verblüfft auf die drei simplen, aber unglaublich zukunftsmächtigen Ingredienzen blicken: Effizienz, Resilienz, Suffizienz (siehe Box unten). Sind das die Zauberworte, um trotz der Endlichkeit unseres Planeten, ein Leben in Freiheit zu genießen? Das entscheiden wir. Jeden Tag aufs Neue.

Drei Zutaten, die die Welt verändern

Effizienz: Ressourcen so sparsam wie möglich verwenden und – wo möglich – in Kreisläufen führen

Resilienz: sozial, wirtschaftlich und ökologisch auf eine hohe Widerstandskraft setzen (um auch Ungeplantes – wie eine Pandemie – verkraften zu können)

Suffizienz: „Nie ist zu wenig, was genügt“ (Heini Staudinger). Abschied nehmen vom „Zuviel“ in unserer Gesellschaft (Stichwort Lebensmittelabfälle, Überkonsum, Hypermobilität)


Portrait einer rothaarigen hübsche FrauÜber die Autorin

Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).

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