Poesie-Ikonen 4.0

Man muss nicht lange nach ihnen suchen. Poesie-Ikonen haben heutzutage Reichweite. Gelingt Newcomer*innen ein poetischer Happen in Premiumqualität, kursiert er in Windeseile www-weit. Wir machen uns auf die Suche nach dem gewissen Etwas, das Poesie-Ikonen unserer Zeit aus der Informations-Flut hervorstechen lässt.

Poetische Wortgewalt vor dem Kapitol

Es war ein poetischer Paukenschlag. Mit Ihrem Auftritt während der Angelobung des neuen US-Präsidenten schrieb die junge US-Amerikanerin Amanda Gorman unlängst Poesie-Geschichte. Nicht mal 6 Minuten Redezeit, in der sie ein Gedicht vorträgt, das einschlägt, wie ein Meteorit: „The hill we climb“.

„Denn obwohl wir unsere Augen auf die Zukunft richten,

die Geschichte hat ihre Augen auf uns gerichtet.

Dies ist die Ära gerechter Wiedergutmachung.

Wir fürchteten zu Beginn,

wir fühlten uns nicht bereit,

Erben einer solch schrecklichen Stunde zu sein,

doch in ihr fanden wir die Kraft

ein neues Kapitel zu schreiben,

uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken.“

(Zitat aus „The hill we climb“ von Amanda Gorman)

Ein Gedicht – makellos und mit gebührender Intensität vorgetragen – unter den Augen von Millionen. Natürlich hätte der Rahmen, es vorzubringen, besser nicht sein können. Aber auch Scharfsinn, Entschlossenheit und die Bereitschaft, eine persönliche Geschichte zu teilen, sind ein wichtiger Teil dieser Erfolgsgeschichte.

Amanda Gorman gelingt es, mit Themen zu berühren. Den Wunsch nach einer gerechteren Welt im eigenen Körper spürbar zu machen. Mit einer Mischung aus Wucht und Zuversicht, die mühelos auf Zuhörende emotional überschwappt. Weshalb sie der deutsche Philosoph Wolfgang Zumdick als eine Art Greta Thunberg der Poesie bezeichnet.

Ihr ikonisch gewähltes Outfit – gelber, bodenlanger Mantel und roter Haarreif – brennt sich in die Netzhaut der Zuseher*innen ein und ließen Gehörtes und Gesehenes zu einer einprägsamen Fusion verschmelzen. Nur ein Augenzwinkern nach der Angelobung des Präsidenten sorgt ihr Auftritt, getragen vom Hurrikan der digitalen und medialen Verbreitung, weltweit für Aufsehen.

Viraler Prinz

Das bedeutet das „Ea“ (sumerisch) übersetzt im Künstlernamen Prince EA. Der US-HipHopper macht nicht nur Musik. Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht er immer wieder Kurzvideos, die auf poetische Art emotional wachrütteln. Im rhythmisch geslammten Hip-Hop-Stil legt er den Finger in Wunden unserer Zeit. Der virale Durchbruch gelang ihm mit seiner moralischen viralen Entschuldigung an kommende Generationen (Video „Sorry“) und Worten wie „we must globally warm our hearts and change the climate of our souls“.

 

Mit Umwelt- und Klimathemen – die oft Kern seiner Geschichten sind – Millionen Clicks auf Youtube zu erreichen ist eine hohe Kunst. Die ihm womöglich auch deshalb so gut gelingt, weil er die Menschen emotional abholt. Zum Beispiel beim Bedürfnis andere Kulturen kennenzulernen und miteinander in Beziehung zu gehen. Bevor er Ihnen auf den Punkt gebracht erklärt, warum Fliegen trotzdem problematisch ist (Video „The future I believe in“).

Heimat großer Töchter

Auch wenn Österreichs Töchter erst seit kurzem hymnisch besungen werden, ist der Hang zur Poesie schon lang in die österreichische Bundeshymne eingeschrieben: Volk begnadet für das Schöne.

Ui, ui, ui. Da wird die Latte aber hoch gelegt. Dann lasst mal sehen. Oder vielmehr hören. Zu bieten gibt es tatsächlich Einiges. Zum Beispiel, wenn man sich die österreichischen Königinnen des Poetry Slams anschaut.

Yasmin Hafedh (aka Yasmo) hat nicht nur diverse Poetry-Slam-Preise hierzulande abgeräumt. Wie Prince EA ist auch sie zudem erfolgreiche HipHopperin. Wortexplosionen und Rhythmus bilden die DNA ihrer Texte, egal, ob gesprochen oder gerappt. Immer wieder stellt sie ihre Kunst auch in den Dienst der Zukunft. Mit Texten wie „Heldinnen“ und Auftritten bei großen Umweltveranstaltungen wie den Erdgesprächen. Anlässlich des Kinostarts von „I am Greta“ solidarisierte sie sich textend mit der „Fridays for Future“ Bewegung.

Die Bühne teilt sie sich auch immer wieder gerne mit anderen „Heldinnen“: zum Beispiel mit Slam-Kollegin Mieze Medusa. Die sich ihrerseits wortegewandt witzig und immer gerne selbstironisch durch den Wahnsinn unserer Zeit textet. Und dabei auch vor ganz großen Themen, wie Umweltthemen oder Wirtschaftskrisen, nicht zurückscheut:

‚Attention World. Das ist keine Warnung. Das ist ein Wachstumsgrenzzwischenfall. Behalten Sie Ruhe, bewahren Sie Nerven. Ein Führungspersönchen ist gleich bei Ihnen und gemeinsam holen wir uns da raus! (Auszug aus dem Text ‚Strick-Zirkeltraining‘)

Und irgendwie ist doch alles Poesie

Wenn man den Hügel, den man mit Amanda Gorman bezwungen hat, wieder hinuntersteigt, trifft man weit unten im Talboden Stefanie Sargnagel, die sich ganz bewusst genau dort positioniert hat. Die österreichische Schriftstellerin und Cartoonistin tritt hierzulande in große Fußstapfen der poetischen ‚Nestbeschmutzung‘. Der rote Faden, der sich durch ihr Werk zieht, heißt Provokation. Und in dieser Rolle – als Österreichs Top-Provokateurin – ist sie gnadenlos erfolgreich, was auch ihr Bachmann-Preis beweist. Sie trifft den Nagel oft so auf den Kopf, dass es weh tut. Und auch das ist eine Kunst.


Portrait einer rothaarigen hübsche FrauÜber die Autorin

Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).

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