Plastik- Oder warum plötzlich
alle nervös sind

In einem Stoffsack liegt allerhand Plastikmüll

Es bewegt sich etwas, es brodelt und rumort. Die EU ist nervös. Warum? Weil die vermeintlich vorbildliche Union bis Dezember 2017 ein Problem auslagerte, das uns nun allen auf den Kopf fallen könnte. Über Jahre exportierte unter anderem die EU ihren Plastikmüll nach China, womit jetzt aber Schluss ist, was alle vor eine große Herausforderung stellt.

Das ausgelagerte Problem

Die Hälfte des weltweiten und ein Drittel des Plastikmülls der EU landeten bisher in China. Die chinesische Kunststoffindustrie hat großen Bedarf an Plastikmüll zur Herstellung neuer Wegwerfprodukte. Der Plastikmüll wurde oftmals von rechtlosen Wanderarbeitern händisch sortiert, gereinigt und an die Recyclingindustrie weiterverkauft, die ihre giftigen Abwässer ungeklärt abfließen lassen.

Das Reich der Mitte hat jedoch mit Anfang Januar 2018 die Qualitätsstandards für importierte Abfälle verschärft, nachdem die schiere Unmenge an importiertem Müll zu massiven Umweltproblemen führte; der Jangtse gehört zu den Flüssen, die weltweit am stärksten mit Plastik verschmutzt sind. Doch es war natürlich nicht nur eine ökologische Entscheidung, die Volksrepublik braucht den ausländischen Plastikmüll nicht mehr, sie haben im Land ausreichend.

In Europa muss jetzt rasch eine geeignete Infrastruktur für Recycling von Plastik aufgebaut werden bzw. eine drastische Reduktion der Plastikproduktion erfolgen. Sehr rasch! Denn allein ein deutscher Einwohner produziert jährlich 37 Kilogramm Plastikmüll, ganz Deutschland also über 3 Millionen Tonnen.

Das ist jedes Jahr ein Gewicht von ca. 27.700 Blauwalen. Diese Anzahl schwimmt leider nicht einmal mehr in unseren Weltmeeren, dafür umso mehr Plastikmüll. Jährlich gelangen um ein vielfaches mehr als in Deutschland anfällt, nämlich bis zu 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer.

Plastik als Bestandteil von Gestein

Stöpsel einer Tube, Plastikfasern und ein Plastikring auf Kieselsteinen

Es ist bereits so weit, dass an der hawaiianischen Küste Geologen auf Gebilde stießen, die aus geschmolzenen Kunststoffen, Vulkangestein, Korallenfragmenten und Sandkörnern bestehen. Sie klassifizierten es als eine Art Gestein und nannten es Plastiglomerat.

Kaum verwunderlich, dass Geologen vorschlagen, die erdgeschichtliche Gegenwart nicht mehr Holozän, sondern Anthropozän (griechisch ánthropos, deutsch Mensch) zu nennen. Denn wir verändern tiefgreifend und im globalen Maßstab den Planeten.

Jährlich produziert die Menschheit 400 Millionen Tonnen Kunststoff, Tendenz rasant steigend!

Forscher errechneten und schätzten wie viel Plastik seit seiner Entwicklung in den 1950ern hergestellt wurde, und kamen zu der unvorstellbaren Menge von über 9 Milliarden Tonnen. Bloße 9 Prozent davon wurden recycelt, 12 Prozent verbrannt. Die verbleibenden 79 Prozent „schwirren“ irgendwo am Erdball umher.

Jetzt ist die Zeit

Blick auf hohe Berggipfel, im Vordergrund eine gerade Eisenbahnschiene gesäumt von Plastikmüll

Diese Hiobs-Botschaften bedeuten aber nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken sollen, der übrigens mancherorts bereits zu einem Zehntel aus Plastikpartikeln besteht…Nein, es heißt, dass wir nun sofort etwas ändern müssen!

Folgen wir den guten Beispielen von Unternehmen und engagierten Menschen.

So möchte die 800 Filialen große Supermarkt-Kette Iceland in England bei allen Produkten der Eigenmarke in spätestens fünf Jahren komplett plastikfrei sein. Wie der Ausstieg aus Plastik gestaltet wird, werden wir neugierig beobachten, denn es ist nicht sinnvoll Plastik durch andere bedenkliche Materialien zu ersetzen. Der Einsatz beispielsweise von Folien aus Mais-, Kartoffelstärke oder Milchsäure, sprich Lebensmittel zur Verpackung von Lebensmitteln zu verwenden, ist ethisch zu hinterfragen. Zusätzlich stammen die Rohstoffe häufig von gentechnisch veränderten Pflanzen. (Mehr zu Bio-Plastik)

Zielführender sind hier wahrscheinlich die Ansätze von Läden, die unverpackte Produkte anbieten oder von den diversen Zero Waste Bewegungen und Vereinen. Eine steigende Anzahl an Menschen berichten darüber, dass bei ihnen in einem Jahr nur ein Sack Müll anfällt, da sie zum Beispiel ihre Zahnpasta oder Seifen selbst herstellen.

Investition in ethisch und ökologisch vertretbare Verpackung

Klar ist, dass Energie in die Innovation von ethisch und ökologisch vertretbaren Verpackungsmaterialien gesteckt werden muss und Plastik nur noch verwendet wird, wo es schwer vermeidbar ist, wie der modernen Medizin. Verstehen muss man auch, dass viele Bereiche nicht gänzlich ohne Verpackung auskommen werden, so müssen Lebensmittel beim Transport vor Beschädigung geschützt werden, allein schon um Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Trotzdem ist klar, wir müssen weg von Plastik und unnötige Wegwerfprodukte wie Einwegbecher etc. sofort verbieten!

Und dafür stehen die zwölf goldenen Sterne der Europaflagge gut, denn der Importstopp Chinas übt den nötigen Druck aus.

Viele Europafahnen werden von Menschen hochgehalten
©Olivia Retzer

Die EU-Institutionen sind in der finalen Abstimmung zu einer Plastikstrategie sowie über ein Maßnahmenbündel für neue Abfallrichtlinien mit höheren Recyclingquoten, das sogenannte Kreislaufwirtschaftspaket. Alle Plastikverpackungen sollen bis 2030 recycelbar werden, der Verbrauch von Einwegplastik soll eingedämmt und die Verwendung von Mikroplastik etwa in Kosmetika beschränkt werden. Jetzt wird sogar über eine Plastik-Steuer debattiert. Diese könnte den Preis von Plastikprodukten den wahren Kosten für den Planeten Erde endlich näher bringen und die Grundlage für Alternativen legen.

Lassen wir diese Chance nicht vorüberziehen! Setzen wir alle Hebel in Bewegung, die in Reichweite sind. Fühlen wir uns nicht als seltsame „Ökos“, sondern verweigern wir erhobenen Hauptes das Plastiksackerl im Geschäft, den Strohhalm im Lokal, bringen wir unsere eigenen Taschen und Behälter mit, wo immer möglich. Greifen wir vermehrt zu unverpackten Produkten. Stehen wir auf und sprechen unsere Regierungen an, unterstützen und fördern wir Forschung und Entwicklung von echten Alternativen.

Denn jetzt ist die perfekte Zeit diese eine Herausforderung in den Griff zu bekommen, die toxische Beziehung mit Einwegplastik zu beenden. Gestärkt von den Erfolgen werden wir Schritt für Schritt, ebenso gemeinsam, den anderen entgegen gehen.

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Freundlich lächelnde Frau mit dunklem langen HaarÜber die Autorin

Dr. Isabell Riedl ist seit 2012 als Nachhaltigkeitsbeauftragte und in der Kommunikation der Werner Lampert GmbH tätig. Sie studierte Ökologie mit Schwerpunkt Natur- und Landschaftsschutz und Tropenökologie an der Universität Wien. Ihre Dissertation verfasste sie über die Bedeutung von Baumreihen in landwirtschaftlichen Gebieten für Waldvögel in Costa Rica. Zeit ihres Lebens hat sie sich insbesondere der ökologischen Nachhaltigkeit verschrieben. Sie ist Teil des Redaktionsteam des Online-Magazins „Nachhaltigkeit. Neu denken.“

2 Kommentare

  1. Um Plastik nicht im Meer oder Tiere und Menschen enden zu lassen,
    empfehle ich Litterati-Spaziergänge (wie Plogging ohne Jogging, aber mit
    Litterati-App).

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