Mit Poesie die Welt retten?

Poesie ist mächtig. Vor allem gefühlsmächtig. Sie trifft uns im Innersten. Taugt sie auch als Katalysator zur Weltrettung? Und was bedeutet das für Kunst und Kultur?

Der Kulturbereich hat viel zu lange geschwiegen. War lange zukunftsblind. So sieht es zumindest der indische Autor Amitav Gosh. Könnte es auch daran liegen, dass Klimakrise und Artensterben dramaturgisch zu wenig hergeben? Oder zu viel? Fegt man mit solchen Themen die Zuschauerränge leer und vergrault sich die Leserschaft?

Keineswegs. Wir zeigen in diesem Schwerpunkt Menschen, die das Gegenteil beweisen. Und wissen, wie man die Hebelwirkung der Poesie gekonnt für eine bessere Welt einsetzt.

Klimawandel, auf die Bühne

© Natalie Driemeyer

Die deutsche Dramaturgin und Festivalleiterin Natalie Driemeyer war unter den ersten, die dem Klimawandel die große Bühne boten. Im Interview erzählt sie, wie selbstverständlich solche Themen auf Theaterbühnen in Ländern aufgegriffen werden, die heute schon ganz andere Klimarealitäten zu verdauen haben, wie den Philippinen oder Indonesien. Im Zuge ihrer Klima-Theater Reise hat sie miterlebt, wie Menschen durch die Folgen eines Hurrikans auf den Philippinen alles verloren haben. Und wie ihnen durch Theater-Therapie bei der Trauma-Bewältigung geholfen wurde. Aus ihrer Sicht ist pandemiebedingt eine Art „Weltzusammenhangsgefühl“ gewachsen. Ein Gefühl, das gemeinsam mit dem gestiegenen Interesse am Klimathema hierzulande einen guten Nährboden für Veränderung bereitet.

Von der Schockstarre zur "geerdeten Ermutigung"

Teresa Distelberger ©Maria Noi

Wie kann man Menschen noch zu einer kulturellen Auseinandersetzung mit Themen einladen, die letztlich Zukunft schreiben werden? Inspirierende Vorbilder helfen erwiesenermaßen. Womöglich läßt sich aber auch die Neugierde schüren, ob die Welt anders nicht auch besser sein könnte. Die österreichische Regisseurin Teresa Diestelberger hat ein Händchen dafür, mit „Mut-Mach-Dokumentationen“ eine ermutigende Stimme in oft pessimistisch geprägte Diskussionfelder einzubringen. Sie porträtiert Menschen, die eine „geerdete Ermutigung“ ausstrahlen und vorleben, wie unsere Welt auch anders funktionieren könnte. Im Interview tauchen wir mit ihr in Momente von ’sozialer Schönheit‘ ein, die ihre Arbeit begleiten.

Slow music movement

© Rising Appalachia

Kann man erfolgreich Musik auf den Markt bringen und dennoch Getöse und Touren-Hektik der globalen Musikindustrie hinter sich lassen? Oder Als Musiker*in sogar selbstdeklariert ‚Katalysator für Veränderung‘ werden? Bands wie Rising Appalachia und Manu Delago machen vor, wohin diese Reise führen kann. Zum Beispiel per Segelboot in diverse amerikanische Häfen der Ostküste. Oder per Rad zu Tournee-Stops quer durch Österreich. Mehr dazu lesen Sie in diesem Beitrag.

Was sich reimt ist gut

Poesie-Perlen gehen heute – dank digitalem Rückenwind – oft in Windeseile viral. Und auch der Weltrettungs-Wille diverser Poet*innen und Slammer*innen entfaltet sich rasant. Trotzdem werden wir die Welt mit Gedichten allein nicht retten können, meint Samuel Kramer im Gespräch, seines Zeichens Klimapoet, Spoken-Word Künstler und Aktivist. Wir sprechen mit ihm über Tornados, Verdrängung, gefühlsbefreite Politik und die Kunst, konkret zu beschreiben, wo der Weg hingehen könnte.

Mehr poetische Haltung, bitte!

Frame talks: wie sozialer Honig entsteht ©W.Zumdick

Das Umdenken, das wir schon in etlichen (auch kulturellen) Nischen der Gesellschaft beobachten, beschreibt der Kunstphilosoph Wolfgang Zumdick im Interview als „poetische Haltung“. Was er damit meint: eine Haltung, die den Wandel befeuert. Weil sie ansteckend ist, andere inspiriert. Eine Haltung, die schon Vordenker, wie Joseph Beuys und Rudolf Steiner, kultiviert haben.

Man kann sie erlernen, indem man seine Wahrnehmung schärft, indem man lernt sich über Essentielles auszutauschen und wirklich zuhört. Die Verbindung, die dadurch zwischen den Menschen wieder entsteht, bezeichnet er als „sozialen Honig“, in Anlehnung an eine Performance-Aktion mit der Künstlerin Shelley Sachs. Mehr dazu hier.

Stellen wir uns die Zukunft falsch vor?

From What is to what if ©R. Hopkins

Egal ob Kino, Bühne, Konzert oder Ausstellung: Kultur ist Futter für unsere Vorstellungskraft. Und diese Vorstellungskraft könnte ein wichtiger Schlüssel sein. Rob Hopkins, der Gründer der Transition-Town-Bewegung, glaubt sogar, dass er die magische Tür aufsperren könnte: die Tür zu einer besseren Zukunft. In seinem (in Kürze auch auf Deutsch erscheinenden) Buch „From What is to What if“ wirft er die provokante Frage auf:

Können wir uns überhaupt vorstellen, dass sich Dinge zum Guten wenden?

Dass wir ab jetzt die richtigen Entscheidungen treffen?

Welche Bilder entstehen dann vor unserem inneren Auge? In seinem Buch stellt er Beispiele vor, die zeigen, welcher Wandel möglich wird, wenn – zunächst nur einige wenige – Menschen beginnen, ihre Vorstellungskraft im positiven Sinn wieder zu entdecken.

Licht am Ende des Tunnels

Wiederentdecken ist ohnehin ein gutes Stichwort. Die Pandemie hat uns gelehrt, was es bedeutet, kulturell ausgehungert zu sein. Jetzt, wo sich die Tore der meisten Einrichtungen wieder geöffnet haben, gibt es viel nachzuholen und neu zu entdecken. Wobei sich das Schöne mit dem Nützlichen verbinden läßt: Kulturhunger mit Zukunftsperspektiven.

Genau dazu lädt die diesjährige „Vienna Biennale for change“ mit dem Motto „Planet love“ ein. „Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft.“ So lautet der Untertitel der Ausstellung „Climate Care“ , die im Zuge der Vienna Biennale bis 3.10.21 im MAK zu sehen ist.

Die auf der Website veröffentlichte Mission der diesjährigen Vienna Biennale läßt keinen Zweifel daran, dass der Kulturbereich in Zukunft keineswegs verschlafen an den Krisen unserer Zeit vorbei-inszeniert und -kuratiert. Im Gegenteil. Man wird noch viel genauer hinschauen:

„Die Vienna Biennale for Change 2021 will unsere Vorstellungskraft beflügeln, die Vision von ökologisch-sozial nachhaltigen Gesellschaften und Ökonomien vorantreiben und innovative Ideen und Lösungsansätze anbieten: zur Milderung der Klimakrise, zur Sanierung und Bewahrung von Ökosystemen, zum Erhalt der Artenvielfalt und zum Einsatz digitaler Technologien zugunsten von Klima und Umwelt.“ (Mission der Vienna Biennale for change 2021)

Balsam für die Seele aller Zukunftsliebhaber*innen. Man geht aber noch einen Schritt weiter:

„Sie regt nicht nur zum Innehalten und Umdenken an, sondern fordert von allen gesellschaftspolitischen Kräften und jedem und jeder Einzelnen entschlossenes Handeln zur Bewältigung der Klima- und ökologischen Gesamtkrise.“

Dem ist nichts hinzuzufügen!


Portrait einer rothaarigen hübsche FrauÜber die Autorin

Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).

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