Klimafreundliche Landwirtschaft – was wäre wenn der Boden Recht hätte?

buntes Gemüse, Zuchini, Kürbis, Paprika und vieles mehr

Der deutsche Arzt, Komiker und Kämpfer gegen den Klimawandel Eckhart von Hirschhausen stellte unlängst in Anbetracht der Klimakrise die Frage: „Sollte es nicht etwas geben, das uns wirklich heilig ist und das wir nicht leichtfertig kaputt machen?“ Aus meiner Sicht wären unsere Böden gute Kandidaten dafür. In manchen Ländern haben Grund und Boden schon ein in der Verfassung verankertes Recht auf gute Behandlung, z.B. in Ecuador und Bolivien dadurch, dass „Pachamama“ (Mutter Erde) rechtlich den Status einer juristischen Person hat.

Wenn man durch die staubige Einöde ausgeräumter Agrarlandschaften fährt, flüstert unser Bauchgefühl uns, dass wir mancherorts das Gespür für die „Heiligkeit“ unserer Böden verloren haben. Die Auswüchse der industrialisierten Landwirtschaft haben zudem auch ein ziemlich schlechtes Klimaimage. Und noch eine Schieflage sollte uns zu denken geben: etliche Studien zeigen, dass in der industrialisierten Landwirtschaft mehr Kalorien in die Produktion gesteckt werden, als am Schluss an Essenskalorien herauskommen. Das mag zwar nach wie vor ökonomisch rentabel sein, aber garantiert nicht nachhaltig. Und dann wären da noch die unerwünschten Nebenwirkungen: verarmte Böden, immenser Wasserverbrauch, kein Summen und Zwitschern mehr, jede Menge Treibhausgase in der Luft und weit und breit kein Mensch, der solche Agrarwüstenlandschaften attraktiv oder lebenswert findet.

Aber wie könnte der Gegenentwurf dazu aussehen?

Wären nicht Systeme erstrebenswert, wo das primäre Ziel nicht kurzfristige Profite, sondern die langfristige Fruchtbarkeit des Bodens ist? Wo die Hauptrollen nicht von Agrochemie-Konzernen und tonnenschweren Landmaschinen, sondern von gesunden Böden, Tieren, Pflanzen, Landwirten und Konsumenten besetzt werden? Schauen wir uns um.

Seit über 30 Jahren gibt es in Indien die Organisation Navdanja, was so viel wie ‚neun Samen‘ bedeutet – gegründet von der charismatischen Bio-Pionierin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva. Sie blickt auf unsere Beziehung zum Essen durch die Brille der promovierten Quantenphysikerin.

Für Vandana Shiva klar: „Sobald wir einen Bissen essen, wird dieser Bissen ein Teil von uns. Wir werden zu dem, was wir essen“.

Was im Umkehrschluss bedeutet: wollen wir gesund sein, müssen Böden und Essen gesund sein. In der Liebesbeziehung zwischen Esser und Essen ist für Pestizide, Gentechnik oder Antibiotika kein Platz. Und es gibt noch weitere Dornen in Shivas Auge: dass Mangelernährung in der Bevölkerung ebenso wie die Selbstmordrate unter Bauern durch die Industrialisierung der Landwirtschaft in Indien vielerorts zugenommen haben.

Mahatma Gandhi hat sich als Zeichen für mehr Unabhängigkeit demonstrativ ans Spinnrad gesetzt. In friedlicher Rebellion spinnt Vandana Shiva aus dem gleichen Grundgedanken nun ein Netz. An jedem Knoten dieses Netzes werden Vielfalt und Unabhängigkeit – in Form von Samen – bewahrt. Mittlerweile hat das Netz schon viele Knoten: 122 Samenbanken in 22 indischen Bundesstaaten. Um Bauern durch biologisches, vermehrbares und regional angepasstes Saatgut wieder unabhängig zu machen. Im Gespräch erzählte mir Vandana Shiva bescheiden lächelnd und ohne mit der Wimper zu zucken, woher ihre Furchtlosigkeit im Umgang mit Giganten wie Monsanto stammt: „Wenn wir uns vorstellen, wie unermesslich groß unser Universum ist, wie groß ist schon Monsanto?“. Eine Reihe von handfesten Erfolgen[1] zeugen von der transformativen Kraft ihrer Bewegung im Kampf gegen diese Giganten. Mit Sikkim wurde der erste indische Bundesstaat 2015 zu 100% auf biologische Landwirtschaft umgestellt.

Eine kleiner Bauernhof in Frankreich sorgt für Aufsehen

Aber auch auf europäischem Boden findet man Geschichten, die große Lust darauf machen, landwirtschaftlich umzudenken. In Frankreich sorgt beispielsweise seit einigen Jahren ein kleiner Bauernhof (Ferme du Bec Hellouin) für Aufsehen – betrieben von den Quereinsteigern Perrine und Charles Hervé-Gruyer, früher Business-Frau und Autor/ Filmemacher. Auf Flächen, wo früher quasi nichts war, ist hier heute von ungeahnten Ertragswundern durch Permakultur die Rede. Und die Rechnung geht ökonomisch auf: eine Anbaufläche von 1.000 m2 bringt Gemüsebau-Erträge im Wert von über 50.000€.

Das I-Tüpfelchen dabei: die Böden steigen hier nicht als Verlierer aus. Zahlreiche wissenschaftliche Studien und ein prominent besetzter, wissenschaftlicher Beirat nehmen Boden, Wirtschaftsweise und Erträge immer wieder genau unter die Lupe. Und kommen zum Ergebnis, dass hier besonders viel Humus aufgebaut und das Buffet für hungrige Pflanzenwurzeln reich gedeckt wird. Humus besteht zum größten Teil aus Kohlenstoff. Und davon haben die Permakulturböden hier jede Menge zu bieten. Bis zu 50 Prozent mehr Kohlenstoffgehalt verglichen zu einer zwei Kilometer entfernt liegenden, konventionell bewirtschafteten Ackerfläche. Aber es geht noch weiter: nachgewiesen wurde auch 6-mal mehr Stickstoff als im konventionellen Boden. Und egal ob Magnesium, Calcium, Kalium oder Phosphor: an nichts scheint des den Pflanzen hier zu mangeln. Alle vier Nährstoffe sind in den Permakulturböden in sehr hohem Maße verfügbar, wohingegen der benachbarte konventionelle Boden bei Magnesium und Kalium nur niedrige bis sehr niedrige Werte aufweist.

Solche Formen der bio-intensiven Permakultur warten mit einer Reihe cleverer Clous auf, um Kreisläufe bestmöglich geschlossen zu halten, egal ob Wasser, Energie oder Nährstoffe.

Ein weißer wolliger EselAuf Bec-Hellouin ist kein Traktorknattern zu hören. Hier regiert die Handarbeit. Man will bewusst ohne die Abhängigkeit vom „fossilen Tropf“ auskommen. Hin und wieder hört man aber Hufgetrappel. Arbeitspferde ziehen grazilen Schrittes Anbaugeräte über die Beete. Im Gemüsebau spricht viel dafür, die Pferdestärke wieder beim Wort zu nehmen. Noch dazu haben die Vierbeiner eine tadellose Klimabilanz. Etliche Pioniere des modernen, kleinstrukturierten Bio-Gemüse-Anbaus setzen mittlerweile wieder auf diese tierischen Mitarbeiter.

Etliche Menschen und Initiativen – auch in Österreich – wären gute Anwärter für den Titel ‚Klimahelden der Landwirtschaft‘. Und fast alle haben eines gemeinsam: frei nach dem Motto „vermehrt Schönes“ oder auch „Kooperation statt Konkurrenz“ laden sie dazu ein, sich in die Karten schauen zu lassen. Erfolgsrezepte werden wie Samen quer über das bunte Beet der sozialen Medien (Websites, Videos, Blogs…) ausgesät. Stapelweise laden Bücher dazu ein in die Erlebnisse und Anbautricks der nachhaltigen Landwirtschafts-Pioniere einzutauchen.

Vor diesem Hintergrund ist der Weg hin zur klimafreundlichen Landwirtschaft nicht als rein technische Hausaufgabe zu verstehen, wo es nur darum geht Treibhausgase einzusparen.

Es geht auch um einen Wertewandel. Um ein unterstützendes, respektvolles Miteinander. Mit anderen Landwirten, aber auch mit Boden, Pflanzen und Tieren.

Ganz in diesem Sinn, lädt die Anführerin des Khomanin-Stammes in Namibia, Visolela Namises, dazu ein sich immer wieder die Frage zu stellen: „Was wünscht sich eigentlich das Land?“ Vermutlich ein lebendiges Wurlen, Zwitschern und Summen – Biodiversität. Vermutlich fruchtbare Böden. Vermutlich viel Humus, um Wasser speichern zu können. Und vieles mehr. Etliche dieser „Wünsche“ gehen Hand in Hand mit umsichtigen, klimafreundlichen Wirtschaftsweisen. Die Welternährungs-Organisation FAO geht sogar so weit, die Schlüsselrolle der Landwirtschaft in Sachen Klimakrise so zu beschreiben: Die Landwirtschaft ist für ein Viertel des Problems verantwortlich, hält aber Lösungen für fast die Hälfte des Problems in der Hand. Und ein Teil dieser Lösungen liegt auch auf Ihrem Teller. Oder um mit den Worten Vandana Shivas zu schließen: ‚Denken wir daran: Essen ist ein ethischer, aber auch ein politischer Akt‘.

Na dann, Mahlzeit.


Portrait einer rothaarigen hübsche FrauÜber die Autorin

Dr. Sybille Chiari arbeitet seit 2011 am Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien und koordiniert dort internationale Forschungsprojekte rund um die Themen Klimakommunikation, Klimaengagement und zukunftsfähige Lebensweisen. Sie ist Mitgründerin der Arbeitsgruppe Klimakommunikation des Climate Change Centers Austria und Teil der Bewegung Scientists for Future. Privat ist sie Obfrau des Vereins Bele Co-Housing, der ein klimafreundliches Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer Landwirtschaft in Oberösterreich betreibt (www.belehof.at).

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Quelle: [1] Virmani, A., & Lépineux, F. (2015). Spiritual-based entrepreneurship for an alternative food culture: the transformational power of Navdanya. In The spiritual dimension of business ethics and sustainability management (pp. 125-142). Springer, Cham.

 

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