Frei von Sozialen Medien -
Digital Detox

Mehrere Marillenblüten mit Biene darauf

Können wir wirklich frei sein? Diese Frage stellte sich bereits eine Vielzahl an Philosoph*innen und Wissenschaftler*innen. Es gibt ganze Abwandlungen zum freien Willen, ob es diesen überhaupt gibt, oder wir nur Wesen sind, die von Hormonen und der Chemie diktiert werden. Ich selbst bin der Überzeugung, dass wir einen freien Willen haben, selbst wenn eine Entscheidung in meinem Gehirn passiert, bevor ich mir ihrer bewusst bin, ist doch dieses Gehirn zweifellos meines und somit ich.

Wie ist es aber mit Zwängen, die von außen auf mich einwirken, derer ich mir nicht bewusst bin, und die mich dennoch zu Taten verleiten? Vielleicht dazu verleiten mehr zu konsumieren, immer mehr zu kaufen. Ich spreche von den Sozialen Medien.

Das Selbstexperiment

In den letzten 15 Jahren häufen sich bei mir die Tage, wo ich mich wie in Trance fühle, etwas dumpf, abgestumpft, aber auch gehetzt. Vieles ist bestimmt darauf zurückzuführen, dass ich keine Studierende mehr bin, weniger Freizeit habe und sich mein Lebensstil stark veränderte. Doch mittlerweile glaube ich auch, dass es die Medien sind, die elektronischen Medien, die täglich auf mich einprasseln. Wie stark sie mich beeinflussten, gefangen nahmen, wurde mir erst durch das Selbstexperiment klar.

Betrachten Sie ein Kind, das mit vielen Reizen konfrontiert wird, beispielsweise in einem Einkaufszentrum – viele Lichter, Menschen, Stimmen, Geräusche – es ist irgendwann überfordert und fängt meistens zu weinen an, oder ist so erschöpft, dass es einschläft. Wir Erwachsenen können damit bereits umgehen, das heißt aber nicht, dass es uns nicht ebenso überfordert.

Für die Fastenzeit 2021 nahm ich mir daher vor Außenreize zu reduzieren, genaugenommen auf Soziale Medien wie Facebook und Instagram zur Gänze zu verzichten. Digital Detox wird das heutzutage genannt.

Das Resümee

Begonnen habe ich mit dem Entfernen der Social Media-Apps von meinem Startbildschirm und dem Deaktivieren sämtlicher Push-Nachrichten. In den ersten Tagen passierte es mir immer wieder, dass ich mein Smartphone entsperrte und auf das leere Loch starrte, wo sich zuvor die Verknüpfungen befanden. Besonders beim Aufstehen und vorm Einschlafen fühlte es sich komisch an, nicht die Timeline durchzusehen.

Was ging da in meinem Hirn vor? Hatte ich Angst vor der Stille? Angst etwas zu verpassen?

  • Zeit vergeuden

Bevor ich mit dem Digital Detox anfing, hatte ich mein Smartphone permanent bei mir. Bei jedem „Leerlauf“ öffnete ich es, checkte ob es neue Nachrichten gibt, neue Postings… das tat ich auf der Toilette, beim Kochen, wenn mein Sohn sein Frühstück fertig aß, immer wenn ich einen kurzen Moment Ruhe hatte. Denn: Zeit ist rar, und wenn ich möglichst viele Dinge zugleich tun würde, könnte ich an einem Tag mehr erledigen, erlernen, erleben.

Doch das ist ein totaler Trugschluss. Multi Tasking ist Gift für die Konzentration, nichts hat die totale Aufmerksamkeit. Es ermüdet, überfordert, macht einen unzufrieden, teils sogar aggressiv.

Und jetzt? Ich habe in dem letzten Monat viele Dinge getan, wozu ich vermeintlich keine Zeit hatte. Jetzt weiß ich, dass mir nur die innere Ruhe und Konzentration fehlte.

Ich habe eine Zeitschrift wirklich gelesen, ich habe eine historische Dokumentation über Frauenrechtlerinnen angesehen, ich habe einem Online-Gespräch von Jane Goodall gelauscht, ich habe meinen Kindern beim Spielen zugesehen, ich habe mehrere Seiten eines Buches gelesen. Ich habe anspruchsvolle Filme angesehen ohne dabei auf meinem Handy zu surfen (z.B. „100 Dinge“, der sich lustigerweise als Film über die Zwänge vom Smartphone entpuppte), ein Kunst-Museum besucht… ich habe diesen Artikel geschrieben.

  • Etwas verpassen

Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden

Dieser Satz von JRR Tolkien fällt mir ein, wenn ich an Social Media denke. „Achtung, diese Story ist nur 24h verfügbar, schau regelmäßig hinein, sonst verpasst du sie!“

Meine Mutter sagte immer: „Man verpasst nichts im Leben.“ Meine Erfahrungen zeigten mir, sie hat Recht, denn alles, was einem wirklich wichtig ist, tut man. Anderes scheint nur in dem Moment wichtig und darf getrost ohne meine Teilnahme vorbeigehen.

Nach einem Monat ohne Social Media verbringe ich nicht nur weniger Zeit am Handy, ich sprinte auch nicht mehr zum Handy, wenn ich ein „Bling“ höre. Mir passiert es sogar, dass ich es vergesse und erst nach einer Stunde die Textnachricht lese. Wissen Sie was? Die Welt ist dadurch nicht untergegangen und ich habe nichts versäumt.

  • Die Stille

Manchmal fordert der Alltag meine Psyche, ich fühle mich verloren und verletzlich. Da tut Scrollen in der oberflächlichen Welt von Instagram und Co gut. Aber jetzt? Ich spreche mit einer Bezugsperson darüber, bearbeite also die Ursache und übertünche die Symptome nicht mit Medien.

  • Ausgeglichenheit

Ein Sonnenuntergang – ich genieße ihn. Vor dem Digital Detox verbrachte ich täglich 20-30 Minuten in den Sozialen Medien. Das ist nicht so viel, aber dafür entsperrte ich wohl täglich 30-40-mal mein Handy. Zusätzlich war mein Kopf oft voll mit Gedanken wie – könnte ich diese Stimmung, diesen Sonnenuntergang in meiner Story teilen? Wen würde es interessieren, macht es sich gut? Somit verbrachte ich geistig viel mehr Zeit als 20-30 Minuten in den Sozialen Medien, Zeit die meinen Kopf blockierte, mir so viele schöne Augenblicke und Momente stahl. Jetzt sehne ich mich sogar noch mehr danach, mich von meinem Smartphone zu befreien, denn ich schaue immer noch sehr oft hinein – News lesen, WhatsApp Nachrichten, E-Mails checken…

Was lerne ich aus der Fastenzeit?

Es braucht mindestens zwei Wochen, damit Automatismen verschwinden und sich Verhaltensmuster verändern. Das Digital Detox für die gesamte Fastenzeit durchzuziehen hat mich gänzlich davon entwöhnt. Ich reduziere Social Media auf ein Mindestmaß, habe viele Abonnements gekündigt, folge nur noch ernsthaften Seiten, die mich geistig weiterbringen und lege fixe Uhrzeiten für die Nutzung fest.

Ich möchte mich von Social Media nicht mehr bestimmen lassen, ich möchte weiter diese Freiheit fühlen, diese intensiven Emotionen. Frei sein von der Dumpfheit, der Trance, in die man durch Reizüberflutung und Überforderung versetzt wird.

Ich möchte weiter die freien Momente genießen. Haben auch Sie schon einmal Digital Detox betrieben? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich?

Falls Sie es noch nie gemacht haben, kann ich es nur wärmstens empfehlen.

Autorin: Isabell Riedl

Dr. Isabell Riedl ist seit 2012 in der Werner Lampert GmbH und leitet dort die Nachhaltigkeitsabteilung. Sie studierte Ökologie mit Schwerpunkt Natur- und Landschaftsschutz und Tropenökologie an der Universität Wien. Ihre Dissertation verfasste sie über die Bedeutung von Baumreihen in landwirtschaftlichen Gebieten für Waldvögel in Costa Rica. Zeit ihres Lebens hat sie sich insbesondere der ökologischen Nachhaltigkeit verschrieben. Sie ist Teil des Redaktionsteams des Online-Magazins „Nachhaltigkeit. Neu denken.“

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