Denn wir werden ihnen
nicht mehr begegnen

Mann mit grauem Rauschebart und Brill sitzt an Teich mit Füßen im Wasser

Der österreichische Nachhaltigkeitsexperte Werner Lampert rüttelt immer wieder mit kontroversen Meinungen wach. Er verteidigte die biologische Landwirtschaft als Zukunftsmodell, lange bevor dies die Allgemeinheit durchschaute. Jetzt fordert er jeden einzelnen auf, sich zu verbildlichen, was der Verlust an Biodiversität bedeutet und regt wieder einmal zu einer neuen Sichtweise an.

Der aktuell erschienene Bericht des Weltbiodiversitätsrats schätzt, dass 1 Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Was lösen derartige Meldungen in Ihnen aus?

Das merkwürdige ist ja, dass der Ausdruck „1 Million Arten“ gar nichts auslöst, denn diese Menge ist unvorstellbar, es sind Arten, die man sich nicht vorstellen kann. Der Bericht anonymisiert das Aussterben in dem Moment, wo er von 1 Million Arten spricht, die menschliche Empfindung wird vom Verschwinden abgekoppelt.

Blick auf einen BergseeDaher stellen Sie sich stattdessen konkret vor, was ausstirbt. In den letzten Wochen habe ich Bergwanderungen über 2000 m unternommen, und ich habe plötzlich bemerkt, – wo sind eigentlich die vielen Schmetterlinge? Als ich vor 20 Jahren hier gegangen war, sind überall Schmetterlinge gewesen. Kaum Schmetterlinge sind mehr da – das ist, was einen entsetzt. Da spüren wir wirklich Verlust, aber nicht nur allgemeinen, sondern auch persönlichen. Denn wir werden ihnen nicht mehr begegnen, das wird es nicht mehr geben. Was ich noch dramatischer empfunden habe, ist der Verlust der Vogelvielfalt. Die Vögel haben wahnsinnig abgenommen.

Überlegen Sie, was Sie an einem Sommermorgen erfreut, vielleicht ist es die Libelle, die Ihnen entgegenfliegt. Das wird es nicht mehr geben, – das wird es nicht mehr geben. Da sprechen wir nicht mehr von allgemeinen Verlusten, von 1 Million Arten, das sind ganz persönliche Verluste und wir müssen massivst dagegen arbeiten.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie selbst im Alltag um Biodiversität zu schützen und zu fördern?

Ich hatte immer einen großen Rosengarten, aber dann betrachtete ich ihn aus einem anderen Blickwinkel, nämlich dahingehend, wie interessant er für Insekten ist, für Bienen, Hummeln, Wespen, Schmetterlinge, Libellen – mein Lieblingsinsekt –, und habe bemerkt, er ist eigentlich nicht sehr interessant. Daraufhin habe ich ihn gänzlich umgearbeitet.

Jede Pflanze bewertete ich im Hinblick auf ihr Futterangebot für Insekten, die Hautflügler, und taugte sie nicht, hab ich sie durch eine andere Pflanze ersetzt, gleich wie gerne ich sie hatte. Ich habe sogar einen Bienenstock mit braunen Bienen aus dem Pinzgau im Garten, und einen Teich mit Fröschen, Kröten, Schlangen – fünf habe ich gezählt.

Seit 1967 kaufe ich außerdem ausschließlich biologische Lebensmittel. Denn eine gut geführte Bio-Landwirtschaft, zum Beispiel wie bei Prüf Nach!, ist eine sehr nachhaltige und legt großes Augenmerk auf Biodiversität.

Ich versuche wirklich viel zu tun und das macht mir sehr viel Freude.

Der Verlust der Biodiversität soll auch die Ernährungssicherheit gefährden, weil wichtige Leistungen der Natur wie Bestäubung, Wasserreinigung etc. wegfallen. Was kann die regionale und nachhaltige Landwirtschaft in diesem Zusammenhang tun?

In den Regionen, wo ich mit meinem Team tätig bin, haben wir das Glück, dass noch eine große lokale Intaktheit vorhanden ist. All die globalen Probleme existieren natürlich, aber es findet sich auch eine hohe Biodiversität. Die regionale nachhaltige Landwirtschaft kann das erhalten, sie besitzt noch ein altes, ein vorindustrielles Wissen, es bestehen noch Bindungen zur Natur. Sie entzieht der Politik die Verantwortung, sodass wirklich etwas weiter geht, wir die Veränderung selbst in die Hand nehmen können.

Mit unseren Prüf Nach!-Richtlinien versuchen wir Bauern langsam, nicht diktatorisch, zu mehr Achtsamkeit gegenüber der Biodiversität zu führen. Und Erhebungen bei Bergbauernbetrieben zeigen, dass dies zielführend ist. Ihre Weiden sind diverser, als bei herkömmlichen Betrieben.

Das hat auch eine soziale Komponente. Ein Hof, der über eine gute Biodiversität verfügt, wo die lokalen und Mikroökosysteme noch intakt sind, erzeugt natürlich eine ganz andere Stimmung bei einem potenziellen Nachfolger, bei Sohn und Tochter, sodass eine gute Übernahme stattfinden kann.

Und als Konsumenten, muss uns bewusst sein, dass wir nirgends so viel Beitrag für die Biodiversität leisten können, wie beim Essen. Die Ernährung ist der größte Zerstörer der Biodiversität, und wenn Sie überlegen, was Sie essen, und was es für Auswirkungen auf die Umwelt, die Natur und die Biodiversität hat, werden Sie die Ernährung vollständig umstellen. Nicht nur, weil es das Wohlbefinden verlangt, sondern weil wir etwas für die Allgemeinheit, die Biodiversität tun wollen.
Ich denke heute sind wir an dem Tag angelangt, wo wir nicht mehr reden und sagen müssen: -Bitte kauft biologische Lebensmittel, weil es ist klüger für euch und für eure Kinder.- sondern es gibt keine Alternative mehr zur biologischen Landwirtschaft, nur mit der biologischen Landwirtschaft können wir gegen diese drohende Katastrophe steuern.

Auch die Agrobiodiversität nimmt ab. Mindestens 1000 domestizierte Säugertierrassen, die für Landwirtschaft und Lebensmittel genutzt werden sind vom Aussterben bedroht, 600 sind bereits ausgestorben. Mit Ihrem Werk „Die Kuh – Eine Hommage“ haben Sie den Rindern dieser Welt ein Denkmal gesetzt. Warum ist die Erhaltung indigener Rinderrassen so wichtig?

In Vorbereitung auf das Buch fuhr ich nach Rom zur Welternährungsorganisation FAO, die einen großen Schatz an indigener Haustierrassen zu bewahren versucht. Ich fragte damals nach dem Hintergrund des großen Engagements. „Weil die Veränderungen durch die Klimaerwärmung von den ‚designten‘ Haustieren, die wir jetzt haben, nicht zu bewältigen ist“, war die Antwort. Die würden sie nicht überleben! Wir brauchen robuste Rassen, wie sie bei alten Haustierrassen vorhanden sind.

Zusätzlich gehören die indigenen Haustierrassen auch zu einer regionalen, lokalen Kultur. Selbst die europäische Union wird nur dann funktionieren, wenn es uns gelingt die regionalen Besonderheiten am Leben zu erhalten, ihnen weiteres Leben zu geben, ihnen Vitalität einzuhauchen. Dann würde Europa zu dem Europa unserer Träume.

China zahlt Bauern für die Haltung und Pflege der seltenen Rinderrasse Caidamu, hohe Subventionen. Was halten Sie von solchen Erhaltungsmaßnahmen?

Kuh steht in kühler Steppe
Caidamu © Werner Lampert GmbH, Foto Ramona Waldner

Als die FAO ein Programm für indigene Haustierrassen ins Leben rief, beteiligten sich alle Länder mit ziemlich großer Begeisterung, nur zwei haben es gänzlich abgelehnt, und haben den Sinn der Aufgabe nicht gesehen, – das waren die USA und China. Nach ein paar Jahren ist China plötzlich eingestiegen und heute ist es das aktivste Land bei der Haltung von indigenen Haustierrassen. Die Chinesen haben begriffen, welchen unglaublichen Wert die alten Haustierrassen haben, dass sie diese Gene brauchen, wenn sie ihre Bevölkerung in Zukunft ernähren wollen. China gibt heute am meisten Geld aus! Wenn jemand alte Haustierrassen hält, bekommt er so viel Geld, dass er in der Stadt leben und sich einen Hirten leisten kann.

Der Alpenraum gilt selbst im europäischen Vergleich als besonders artenreich, 4500 Gefäßpflanzen gibt es hier. Welche Rolle spielen Kühe in den Bergregionen?

Kühe spielen eine sehr bedeutende Rolle. Anita Idel beschreibt in ihrem Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller!“ ganz klar die großartige Leistung der Rinder im Alpengebiet. Rinder prägen es seit Jahrzehnten und Jahrtausenden. Durch ihre Fraßtätigkeit verhindern sie, dass die Almen zuwachsen. Die Wälder in den Alpen sind eher artenarm, die offenen Flächen hingegen sehr divers.

Zugleich erhöhen Rinder die Bodenfruchtbarkeit. Denn „die heutige Graswurzel ist der Humus von morgen“, schreibt Anita Idel. Das ist ein wunderbares Bild. In diesen humiden Böden wird erstens unglaublich viel Kohlenstoff gebunden und zweitens sind sie die Grundlage für gutes Pflanzenwachstum.

Im Gegensatz dazu stehen grüne Wüsten. Wiesen, die zwar grün sind, aber wo man die unterschiedlichen Gräser an einer Hand abzählen kann, wo keine Vielfalt mehr gedeiht. Das häufige Mähen, Düngemittel und Pestizide haben alles zugrunde gerichtet, die ausgebrachte Gülle zerstört alles.

Haben Sie noch Hoffnung?

Ich bin der Meinung, jeder Mensch ist von Gott geschaffen und Gott hat uns in eine Welt mit nur solchen Problemen gegeben, die wir auch als Menschen lösen können. Viele Zukunftsforscher denken, dass wir die jetzigen Herausforderungen leicht mit Technologie, mit künstlicher Intelligenz meistern werden. Ich glaube keine Sekunde daran, ich vertraue auf die Kreativität, die Kraft, die Intelligenz der Menschen. Und wenn die Menschen verstehen, dass wir nicht vereinzelte verlorene Menschen sind, sondern eine Gemeinschaft und dass wir zusammen gehören, dann werden wir auch beginnen die Probleme wirklich lösen zu können.


Über Werner Lampert

Portrait eines bärtigen Mannes mit lockigem ergrauten Haar und HornbrilleWerner Lampert (geboren 1946 in Vorarlberg/Österreich) zählt zu den Wegbereitern im Bereich nachhaltiger Produkte und deren Entwicklung in Europa. Der Biopionier beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit biologischem Anbau. Mit Zurück zum Ursprung (Hofer) und Ja! Natürlich entwickelte er zwei der erfolgreichsten Bio-Marken im deutschen Sprachraum.

Quelle: Interview vom 17.7.2019
Artikel der Redaktion

 

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