Wie wir die Politiker knacken

Junge dunkelhaarige Frau vor einem Mikrofon
Alice Vadrot © FWF/APA-Fotoservice/Tanzer

Der Politikwissenschaftlerin Ass.Prof. Dr. Alice Vadrot wurde Naturverbundenheit quasi in die Wiege gelegt. Ihre Forschungen bieten Lösungen dazu, wie Umwelt- und Naturschutzthemen in der Politik kommuniziert und umgesetzt werden können. In Österreich setzt sie sich mit ihrer Beteiligung im Biodiversitätsrat für ein breiteres Wissen zur Vielfalt der Natur ein.

Frau Dr. Alice Vadrot, Sie sind Politikwissenschaftlerin, setzen sich aber für Umweltthemen und Biodiversität ein, wie kam es dazu?

Als Kind habe ich viele Sommer auf dem Bauernhof meiner Großeltern in den Nockbergen verbracht. Im alltäglichen Leben und auf langen Wanderungen hat mir meine Großmutter die Artenvielfalt nähergebracht und mir viele Phänomene erklärt, die mir wie kleine Wunder erschienen. Schon vor Jahren hat meine Großmutter Veränderungen beschrieben und gedeutet, die heute als Klimawandel oder Artensterben wissenschaftlich untermauert sind.

Als Politikwissenschaftlerin interessiere ich mich vor allem für die Frage, wie wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Wissen für den Schutz der Natur brauchbar gemacht werden kann und welche Selektivitäten in diesem Prozess entstehen. Nicht jedes Wissen wird als legitim angesehen, um Natur abzubilden oder politische Entscheidungen, die einen negativen oder positiven Effekt auf unsere Umwelt haben können, zu untermauern. In diesem Sinne ist Wissen über Natur immer auch politisch.

In einer internationalen Studie untersuchten Sie mit Kollegen, was die Hürden bei der Einführung von Schutzmaßnahmen durch die Politik sind. Sie entdeckten dabei, dass es weltweit ähnliche sind. Welche Lösungen sehen Sie?

Stimmt. Wir konnten feststellen, dass es Einigkeit darüber gibt, dass die Priorität und Legitimation von Umwelt- und Naturschutz in der Politik und Öffentlichkeit erhöht werden muss. Umwelt- und Naturschutz dürfen nicht an der Peripherie der Tagespolitik zerrieben werden. Vor der Befragung hatten wir angenommen, dass die Barrieren in der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis liegen könnten. Die Einschätzung der Befragten zeigte aber, dass die Kommunikation eigentlich sehr gut funktioniert und die Grundlagen für evidenzbasierte Umweltpolitik durchaus gegeben sind. Das Problem läge insbesondere darin, dass die Bevölkerung Umwelt- und Naturschutz nicht hinreichend einfordert, was auch am Wahlverhalten ablesbar sei.

Es muss daher in erster Linie an die „Herzen und den Verstand“ der Menschen appelliert werden, damit Naturschutzmaßnahmen stärkere Umsetzung erfahren.

Dass wir nicht falsch gelegen sind, zeigt die Entwicklung der vergangenen Monate: die „Fridays for Future“ Bewegung hat den Klimawandel re-politisiert, das Problembewusstsein erhöht und der wissenschaftlichen Erkenntnis über den Klimawandel zu neuer Legitimation verholfen.

Wie können sich Wissenschaftler in der Politik mehr Gehör verschaffen? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um an Politiker heranzutreten?

Im Grunde genommen hängt dies vom jeweiligen politischen System, sowie der politischen und wissenschaftlichen Kultur in einem Land ab. Eine lange Tradition formalisierter wissenschaftlicher Politikberatung im Parlament, wie etwa in Großbritannien das Parliamentary Office of Science and Technology (POST) und in Deutschland das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), gibt es in Österreich nicht. WissenschaftlerInnen können sich aber, im Rahmen der öffentlichen Begutachtung von Gesetzen oder im Rahmen von Hearings, einbringen. Das verlangt jedoch nach großer Aufmerksamkeit dafür, was gerade im Parlament passiert und nach entsprechenden Netzwerken zu politischen EntscheidungsträgerInnen.

Surrealistische Zeichnung von einem Baum
Zeichnung von Alice Vadrot, entstanden als sie sich intensiv und sehr kritisch mit dem Konzept der Ökosystemdienstleistungen auseinandersetzte

Vor diesem Hintergrund argumentieren wir, dass WissenschaftlerInnen, die einen Beitrag leisten möchten, über den politischen Prozess, die Strukturen und die Inhalte von Umweltpolitik Bescheid wissen müssen. Nur so können sie abschätzen, wann ihr Wissen von Relevanz wird und wie sie es einbringen können.

Gerade deshalb ist es in Österreich wichtig auch die internationalen Prozesse im Blick zu haben und Fenster, die durch die Thematisierung oder Politisierung von Umweltthemen international entstehen, zu nutzen.

Die Fertigstellung des globalen Berichts über das Artensterben zum Beispiel (LINK Wissenswertes) hat ein Fenster geöffnet, um das Thema auch national auf die Agenda zu setzen und Maßnahmen von der Regierung einzufordern, damit die internationalen Ziele erreicht werden können.

Auch auf lokaler Ebene ergeben sich viele Chancen, etwa durch die Mitarbeit in der Erstellung von Gutachten, die die ökologischen Auswirkungen etwa von Infrastrukturprojekten abbilden und für die breite Öffentlichkeit sichtbar machen. Die Entwicklungen rund um die dritte Piste haben gezeigt, wie schwierig und langwierig solche Prozesse sein können und wie wenig auf wissenschaftliche Expertise gehört wird.

Haben Sie ein persönliches Erlebnis, wo Sie als Wissenschaftlerin in der Politik Einfluss nehmen konnten?

Ich habe vor ein paar Jahren als Erstautorin an einem Gutachten des TAB mitgearbeitet. Thema war der Stellenwert, sowie die Implementierung des Konzepts der Ökosystemdienstleistung in die deutsche Naturschutzpolitik. Das Konzept, das die Vorteile, die Menschen aus Ökosystemen ziehen, in den Vordergrund stellt, hatte damals neuen Aufwind erfahren und wurde von vielen WissenschaftlerInnen als Möglichkeit gesehen die gesellschaftliche Relevanz der Natur ökonomisch abzubilden und die Kosten die durch Nichthandeln entstehen greifbar zu machen.

Mir war wichtig, dass nicht nur die positiven, sondern auch die möglichen negativen Auswirkungen des Konzepts abgebildet werden, was letztlich auch gelungen ist. Gerade im globalen Süden wird das Konzept auch zur Legitimation von Neuordnungen in der Land- und Ressourcennutzung herangezogen, wodurch lokale Gemeinschaften manchmal sogar enteignet und faktisch von der Nutzung bestimmter überlebenswichtiger Ressourcen ausgeschlossen werden.

Auch auf einer abstrakteren Ebene müssen wir uns fragen, ob die Darstellung der Natur als Dienstleisterin der richtige Weg in eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft ist oder ob es andere Möglichkeiten gibt Umwelt- und Naturschutz als Prioritäten zu etablieren.

Sie haben im Jahr 2014 ein Buch veröffentlicht, das die Entstehung des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) analysiert. Warum wurde der Ruf nach einem Rat unter den Wissenschaftlern immer größer? Hat der Weltbiodiversitätsrat ein Loch gefüllt, das schon lange bestand?

In gewisser Weise ja. Der Erdgipfel 1992 hatte die Etablierung der Biodiversitätskonvention und der Klimarahmenkonvention zur Folge. Während die Klimawissenschaft durch die Etablierung des Weltklimarats 1988 bereits mit mehr oder weniger geeinter Stimme sprach und einen institutionellen Rahmen zur Verfügung hatte, hinkte die Biodiversitätscommunity hinterher.

Das Fehlen international gebündelter wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Artenrückgang wurde lange als Ursache für die niedrige Priorität des Themas und das Implementierungsdefizit der Biodiversitätskonvention gesehen. Die Idee einen Weltklimarat für Biodiversität zu etablieren, hatte um 2005 und nach der Veröffentlichung des Millennium Ecosystem Assessments (MA) neuen Aufschwung. Das MA hat Biodiversität eng an das Konzept der Ökosystemdienstleistungen gekoppelt und den Zusammenhang zwischen dem Artenrückgang und dem menschlichen Wohl hervorgehoben. Gepaart mit der Idee eines institutionellen Rahmens, der die formale Anerkennung der Berichte durch die Politik ermöglichen sollte, wurde der Biodiversitätsrat geboren.

Im Übrigen erkannte er von Anfang an auch die zentrale Rolle lokalen und indigenen Wissens für den Schutz der biologischen Vielfalt an. Darin unterscheidet er sich maßgeblich vom IPCC und liefert ein neues Modell für globale Wissensproduktion.

Sie selbst sind nun Mitglied im neu gegründeten Österreichischen Biodiversitätsrats. Was ist Ihre Rolle?

Derzeit bin ich ein Mitglied des wissenschaftlichen Beirats. Ich möchte mich insbesondere für die Stärkung von Interdisziplinarität in der Biodiversitätsforschung einsetzten und die gesellschaftliche und politische Relevanz von Forschung erhöhen. Zudem ist es mir ein Anliegen aufzuzeigen, welchen Beitrag die Sozialwissenschaften leisten können, indem diese die gesellschaftlichen und politischen Ursachen von Umweltproblemen aufzeigen und analysieren.

Was sind die nächsten Projekte oder die Ziele des Österreichischen Biodiversitätsrats?

Das wichtigste Ziel der Plattform ist einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität zu leisten. Erreicht werden soll dies durch eine bessere Bündelung, Darstellung und Repräsentation der Wissenschaft und Daten, die in Österreich über die biologische Vielfalt vorhanden sind. Auf dieser Grundlage soll nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Schnittstelle Wissenschaft, Politik, Gesellschaft gestärkt werden. Wesentlich hierzu ist das bereits existierende wissenschaftliche Wissen zu vereinen, sichtbar zu machen und öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren.

Was möchten Sie unseren Lesern noch mitteilen?

Mir ist wichtig zu betonen, dass Wissen über Natur nicht nur im wissenschaftlichen Kontext von Bedeutung ist, sondern auch einen stärkeren Stellenwert sowohl in Bildungseinrichtungen als auch im alltäglichen Leben von allen spielen sollte.


Über Alice Vadrot

Portrait einer lächelnden Frau mit PerlenohrringenAlice Vadrot ist Assistenzprofessorin für internationale Politik an der Universität Wien. Sie forscht zur Rolle der Wissenschaft in der internationalen Umweltpolitik und hat die Entstehungsgeschichte und Funktionsweise des Weltbiodiversitätsrats untersucht. Seit November 2018 leitet Sie ein vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit 1,4 Mio EUR gefördertes 5-jähriges Forschungsprojekt, in dem sie gemeinsam mit ihrem Team einen empirischen Ansatz entwickelt, um die Rolle der Wissenschaft in der internationalen Meeresschutzpolitik zu beforschen (www.maripoldata.eu).

Quelle: Gekürzte Fassung eines Interviews mit Alice Vadrot am 9.7.2019
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