Wozu Gewächshochhäuser?

Immer häufiger wird davon geschwärmt, dass in Zukunft Gewächshäuser übereinander gestapelt werden, um so auch direkt in der Stadt Gemüse zu produzieren. Nachrechnen, ob das überhaupt möglich bzw. sinnvoll ist, tut aber kaum jemand.

Für Pilze, Spargel oder Chicoree bräuchte man keine eigenen Hochhäuser errichten, denn die wachsen auch in dunklen Kellern, die es ohnehin gibt. Das oberste Stockwerk ist natürlich super für die Pflanzenzucht. Aber allein dafür bräuchte man auch keinen Turm aufstellen – da würden die existierenden Dächer ausreichen. Hier geht es um die Idee, Pflanzen auf mehreren Stockwerken übereinander in großem Stil industriell zu züchten. Fassadenbegrünung zähle ich nicht dazu. Ebenso wenig eine andere Form der vertikalen Landwirtschaft, bei der Pflanzen, die nicht viel Licht brauchen, in nur einem Geschoß übereinander gezüchtet werden, wobei durch Förderbänder jede Pflanze eine gleich lange Zeit in die Sonne gebracht wird. Das funktioniert bereits in Singapur (Projekt „Sky Greens“). Bei bedecktem Himmel oder im Winter wird das Licht nicht für alle Pflanzen reichen. Hierzulande wäre dieses Konzept in der Form daher kaum umsetzbar.

Künstliches Licht

Der Visionär Dickson Despommier möchte die Landwirtschaft gleich ganz unabhängig von Sonnenlicht machen. Künstliches Licht ermöglicht erst die Gewächshochhäuser, die ihm vorschweben. Spiegel oder dgl. würden den Flächenbedarf wieder auf das Ausmaß gewöhnlicher Treibhäuser anwachsen lassen. Man kann das Sonnenlicht ja auch durch noch so geschickte Konstruktion nicht vermehren, und Pflanzen brauchen viel davon. Zuhause am Küchentisch wächst kein Salat. Außerdem spricht der große technische Aufwand gegen gigantische Spiegelsysteme. Bei künstlicher Beleuchtung ist hingegen der Energieaufwand enorm, wie ich im Folgenden berechne, und daher verstehe ich den Nutzen von Gewächshochhäusern nicht.

Eine untere Schranke der benötigten Energiemenge liefert der Brennwert des fertigen Lebensmittels. Z. B. haben Weizenkörner etwa 14 000 Kilojoule pro Kilogramm. Diese Energie muss der Weizenpflanze über die Lampen zugeführt werden, wenn sie ohne Sonne wachsen sollen. Im Ideallfall wären das 3,9 Kilowattstunden, die 78 Cent pro Kilogramm kosten würden. In der Praxis speichert die Pflanze nur ca. 1 Prozent der Energie in den nutzbaren Teilen. Der Weizen aus dem „Brutschrank“ würde also 78 €/kg kosten – nur für die Belichtung! Auch wenn man den Strom zu einem Zehntel des Endkundenpreises selbst produzieren könnte (2 Cent/kWh), wäre das immer noch haushoch unwirtschaftlich, weil ja auch die Errichtung des Gebäudes und die hocheffizienten Leuchtmittel nicht gratis sind. Mit einem Bauern, der die Sonne als kostenlose Energiequelle nutzt, scheint der Indoor-Gärtner nicht konkurrieren zu können.

Gut, für energiereiche Produkte ist vertical Farming mit künstlichem Licht zu vergessen, aber wie sieht es z. B. für Salat aus? Der wird in England bereits erfolgreich ohne natürliches Licht angebaut. Wie viel Energie dafür gebraucht wird, lese ich jedoch nirgends. Ich rechne daher wieder selbst, diesmal von der anderen Seite: Sonnenlicht hat 1000 Watt pro Quadratmeter, aber nur das rote und grüne Licht dient Pflanzen zur Photosynthese. Effiziente Lampen brauchen daher nur diese Farben erzeugen und können schon mit rund 100 Watt pro Quadratmeter eine Intensität wie das Sonnenlicht erzeugen. Nicht alle Pflanzen brauchen diese Intensität. Salat wachst laut einer Broschüre auch schon bei 10 Watt pro Quadratmeter. Das entspricht bedecktem Himmel, aber immer noch zehnmal mehr als die typische Helligkeit in (beleuchteten) Innenräumen. Nur am Anfang seines Lebens braucht der Salat 25 Watt pro Quadratmeter. Nach 3–8 Wochen ist er erntereif. Bei 16 Stunden Beleuchtung pro Tag summiert sich die Beleuchtungsenergie auf rund 5 kWh/m². Diese Energie kann, bei sonst gleichem Ergebnis, in einem einstöckigen Treibhaus, so wie es derzeit Standard ist, eingespart werden.

Ökologischer Nutzen

Was ist der ökologische Nutzen der zusätzlich aufgewandten Energie? Es wird häufig auf einen geringeren Flächenverbrauch der vertikalen Landwirtschaft verwiesen. Aber Energie ist das größte Umweltproblem. Genau dieses würden wir mit dem Anbau in dunklen Geschoßen verschärfen und im Gegenzug eine relativ unbedeutende Einsparung bei anderen Umweltfaktoren erzielen (wenn tatsächlich im Gegenzug landwirtschaftliche Fläche an die Natur zurückgegeben würde, was ich bezweifle). Die verminderten Transporte sind kein Argument für Glashochhäuser, zumindest nicht für Städte wie Wien, wo man die Treibhäuser auch ebenerdig am Stadtrand ansiedeln kann. Generell macht der Transport in der Klimabilanz von frischem Gemüse nur rund ein Viertel aus (siehe Beispiel für Brokkoli). Tomaten aus Spanien verursachen trotz Transport weniger CO2-Emissionen als dieselben aus einem heimischen Treibhaus, wenn dieses beheizt werden muss. Regionalität ist nur 3. Wahl. Entscheidend sind: Art der Produktion (am besten biologisch) und saisonaler Anbau.

Es gibt (zum Glück) noch keine vertikale Landwirtschaft mit künstlichem Licht im größeren Stil. Dass dieses Konzept unwirtschaftlich wäre, erkennt man auch schon ohne Rechnung einfach daran, dass in österreichischen Gewächshäusern künstliche Beleuchtung nicht einmal zur Saisonverlängerung von Gemüse zum Einsatz kommt. Erst recht wird sich dann ein Anbau nicht lohnen, wenn so gut wie das ganze Licht aus der Stromleitung kommen muss.

Trotzdem gibt es bereits Erfahrungswerte, die das Ausmaß des benötigten Energiebedarfs drastisch vor Augen führen: Zur illegalen Drogengewinnung wird Hanf, von der Außenwelt abgeschottet, mit künstlicher Beleuchtung gezogen. Das braucht schätzungsweise 300–900 kWh Strom bis zur Erntereife einer Pflanze. Bei einem Preis von 10 € pro Gramm Cannabis rechnet sich das. Ökologisch ist es aber eine Katastrophe. Es wird geschätzt, dass in den USA 1 Prozent des gesamten Stromverbrauchs auf heimliche Hanf-Plantagen zurückgeht. 1 Prozent! Nur für ein paar Hanfblüten! Wie schlimm es aussähe, wenn unser ganzes Gemüse aus der beleuchteten Retorte käme, kann man da leicht erahnen …

Bin ich zu wenig begeisterungsfähig oder sind Gewächshochhäuser mit LED-Lampen statt Sonne wirklich eine Schnapsidee? Selbst wenn (in ferner Zukunft) die Kosten auf 0 sinken würden, dann würde sich doch jeder zuhause dezentral die Zuchtautomaten hinstellen. Wozu eigene Türme errichten?


Über den Autor Mario Sedlak
1975 in Wien geboren, 2000 Abschluss des Studiums der Technischen Mathematik an der TU Wien, seit 2008 Fachexperte in der Stromwirtschaft
Veröffentlicht am

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert